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“Wir sind Afghanistan eine Klarheit schuldig…”

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Wer macht eigentlich was? Dass sich vergangene Woche drei afghanische “Kriegsverbrecher” auf deutschem Boden mit US Kongressabgeordneten getroffen haben, bewerten mittlerweile auch deutsche Beobachter mehr als kritisch. Besonders wegen einer fehlenden medialen Transparenz, weil damit nämlich der politische Prozess, der auf der jüngsten Bonner Afghanistan-Konferenz beschlossen wurde, konterkariert würde. Einerseits wurde Hamid Karsai dort als Gastgeber in der Öffentlichkeit präsentiert, andererseits wird jetzt hinter verschlossenen Türen gegen ihn gearbeitet. Die USA arbeiteten demnach gegen sich selbst, analysiert der Politologe Prof. Thomas Jäger von der Uni Köln. Mit ihm habe ich ein kurzes Telefoninterview geführt. Sein Fazit zum Berliner Treffen: “Wir sind den Afghanen eine Klarheit schuldig.” Besonders für deutsche ISAF Soldaten könne es jetzt im Einsatz nun noch gefährlicher werden, “weil es die Afghanen uns übel nehmen könnten, dass wir in Deutschland ihren größten Feinden unsere Gastfreundschaft anbieten.”

Prof. Thomas Jäger, Politikwissenschaftler Uni Köln - Foto: privat

Herr Prof Jäger, wie bewerten Sie das Treffen der US Kongressabgeordneten mit Ahmad Zia Massud, Raschid Dostum und Mohammed Mohaqiq in Berlin? Verlieren dadurch deutsche Soldaten nicht ihre Glaubwürdigkeit in Afghanistan, wenn Deutschland einen Boden für solche Gespräche bietet?

Prof. Jäger: Die Unterstützung der Truppe ist eine Seite; die zweite Seite ist die ständige Hinterfragung, ob es gerechtfertigt ist, für die anvisierten Zwecke, die Soldaten in solche Gefahr zu bringen. Diese politische Debatte ist zehn Jahre nur unzureichend geführt worden und es ist die Aufgabe der entsprechenden Personen aus Politik, Medien, Militär, EZ, Wissenschaft eine kohärente Strategie einzufordern. Denn mit den Gesprächen ist Kohärenz möglicherweise nicht mehr wie im bisherigen Maß gegeben. Die Unterstützung für die Karzai-Regierung wurde im Dezember auf dem Petersberg noch öffentlich dokumentiert. Diese Gespräche dienen nun aber anscheinend dazu, das afghanische Machtgefüge zu verändern. Da sind die Interessen groß, weil diese Regierung nicht nur weitere finanzielle Unterstützung für den Aufbau von Sicherheitsorganen erhält, sondern auch EZ-Gelder verteilt und zudem in die Gewaltökonomie des Landes involviert scheint.

Welchen Zweck könnten diese Berliner Gespräche verfolgen?

Prof. Jäger: Die strategische Frage also wäre: sind diese Gespräche, die halböffentlich geführt werden, in einen Strategiewandel eingebunden? Oder führen diese Gespräche zu einer Widersprüchlichkeit des Vorgehens der NATO-Staaten, indem einerseits die amtierende Regierung gestützt, andererseits mit ihren politischen Gegnern Absprachen gesucht werden. Dazu würde interessieren: Inwieweit ist die Regierung Karzai unterrichtet? Hat sie mit einem Vertreter an den Gesprächen teilgenommen? Hat sie Informationen aus erster Hand und von wem über diese Gespräche erhalten? Bezüglich der drei Personen – Dostum, Massoud, Mohaqiq – wäre zu fragen, welche strafrechtlichen und international-strafrechtlichen Vorgänge hier anhängig sind.

Findet  in den USA nun wirklich ein Strategiewechsel statt?  Kann man sagen, dass in den Hinterzimmern an Karsai Stuhl gesägt  und nun mimt den wahren Feinden Afghanistans nach einer anderen Zukunft gesucht wird?

Prof. Jäger: Dass in den USA ein Strategiewechsel hin zu Gesprächen mit allen politisch relevanten Gruppen stattfindet, ist seit einiger Zeit zu beobachten. Der Auswärtige Ausschuss des Senats hat erst im Dezember ein Papier über die regionalpolitischen Interessen der nördlichen Nachbarstaaten Afghanistans veröffentlicht. Europäische Staaten haben schon früher einen solchen Politikwechsel hin zu Verhandlungen mit den militärischen Gegnern für angemessen gehalten. Nun soll er den Abzug der Truppen scheinbar derart unterstützen, dass danach kein offener Bürgerkrieg ausbricht, an dem die umliegenden Staaten und andere Akteure kein Interesse haben. Die Personen, mit denen man diese Gespräche führen muss, kann man sich nicht aussuchen. Allerdings müssen diese Gespräche in eine neue zweckorientierte Strategie eingebunden sein. Was Jochen Hippler sagt, ist aus meiner Sicht überzeugend. Fast alles. Unsicher bin ich mir bei dem Punkt, inwieweit die Bundesregierung hier aus eigener Vorstellung handelt. Meine Vermutung wäre, dass sie von den USA gebeten wurden, Möglichkeiten einer Sondierung auszuloten. Alle Berichte über das westliche Vorgehen in Afghanistan dokumentieren die überragende politische Bedeutung der USA, so dass ich mir nicht vorstellen kann, dass dies in diesem wichtigen Punkt anders sein könnte.

Warum finden solche Gespräche ausgerechnet in Deutschland statt? Macht sich unser Land am Hindukusch damit nicht unglaubwürdig?

Prof. Jäger: Warum Berlin ist dabei eine gute Frage. Vielleicht, um die Ernsthaftigkeit der Gespräche zu verdeutlichen, denn es konnte nicht vermutet werden, dass diese Gespräche geheim blieben. Wäre dies das Ziel gewesen, hätte man andere Formen gewählt, über die entsprechenden Organisationen im Handlungsrepertoire verfügen. Es wäre zu fragen, wer diesen Standort aus welchem Grund vorgeschlagen hat. Vielleicht gab es ja mehrere Optionen. Andererseits gibt es seit längerem Berichte, dass Deutschland und Katar Standorte für derartige Gespräche sind. Die Taliban haben dabei Katar als Standort ihrer Vertretung gewählt. Erstens hat sich Anthony Cordesman zu Wort gemeldet und dies hat in der strategischen Debatte der USA großes Gewicht. Er macht deutlich, welche Belastungen die USA und ihre Verbündeten für die nächsten zehn Jahre auf sich nehmen müssen und verbindlich einplanen müssen, wenn Afghanistan politisch stabil gehalten werden soll. Besonders interessant ist ein Beitrag von Botschafter M. K. Bhadrakumar, nach dessen Informationen an den Gesprächen in Berlin auch Karsais Ex-Geheimdienstchef Amrullah Saleh teilgenommen hat. Er wertet das Treffen als Opposition zu den amerikanischen Überlegungen, eine Aussöhnung mit den Taliban in das Zentrum der politischen Strategie zu stellen. Mit der gemeinsamen Linie der Tadschiken, Usbeken und Hazara stehe Karzai zwischen zwei Akteuren, die er beide nicht für sich gewinnen, aber auch nicht gegeneinander ausspielen könne. Die Allianz habe sich demnach auch darauf geeinigt, gemeinsam eine Reform des politischen Systems anzustreben, weg vom Präsidialsystem und hin zu einer stärker inklusiven parlamentarischen Form. Auch die Forderung nach Direktwahl der Gouverneure wurde demnach verabredet.

Herr Prof. Jäger, vielen Dank für das Gespräch.

Unklar ist immer noch, wer diese Berliner Gespräche wirklich organisiert hat. Ich glaube nicht, dass diese drei afghanischen Gäste auf normalem Weg in die Bundesrepublik eingereist sind. Deutsche Behörden müssen davon gewusst haben – zumindest das Auswärtige Amt oder auch die Bundesregierung. Und eine Frage schließt sich an: warum gab es nur ein deutsches Interview mit den Afghanen? Dann kann das Treffen doch nicht geheim gewesen sein? Und wenn sich herausstellte, dass ein verteidigungspolitisches Ausschuss-Mitglied dieses Treffen mit organisiert haben soll, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass das ohne Wissen der Regierung und dem Auswärtigem Amt passiert sein soll. Das wäre dann wirklich peinlich. Und eine Frage ist immer noch unbeantwortet: welche Ziele verfolgt Deutschland nun wirklich? 10 Jahre Bundeswehr in Afghanistan: war dann alles umsonst? Afghanische Journalisten bestätigten dem Afghanistan Blog, dass auch Provinzgouverneur Mohammed Atta Noor, Ex-Präsidentschaftskandidat Abdullah Abdullah und Vizepräsident Khallili zu diesem Treffen eingeladen waren, dieses aber abgesagt hätten, weil sie mit den drei anderen nicht zusammenarbeiten wollten.

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